Lehrerausbildung hat wenig mit Pädagogik zu tun

20. Januar 2012

Auf Einladung der Arbeitsgemeinschaft für Bildung hielt Frau Prof. Dr. Matthes von der Universität Augsburg, Lehrstuhl für Pädagogik, einen Vortrag über die Lehrerbildung in Bayern. Dabei wies sie nicht nur auf Mängel in der Ausbildung der Lehrer hin, sondern hatte auch Thesen zur Verbesserung im Gepäck.

Prof. Dr. Matthes kennt den Ist-Stand der Lehrerbildung in Bayern aus eigener Erfahrung und teilt keineswegs die euphorische Meinung der bayerischen Regierung. Während ihrer langjährigen Praxis hat sie eine extreme Vernachlässigung der Pädagogik in der Lehrerbildung beobachtet und kommt zu dem Schluss „Das Lehramt hat nichts mit Pädagogik zu tun“.

Der Philosoph Karl Jaspers formulierte die These, dass das Schicksal eines Volkes davon abhänge, welche Lehrer es hervorbringt und wie es seine Lehrer achte! Schließlich prägen sie ja in einem nicht unerheblichen Masse die Jugend, welche dereinst unsere Zukunft bestimmen wird. In der Tat ist der Beruf des Lehrers ein gesellschaftlich sehr bedeutender, der aufgrund der diffusen Umstrukturierungen mittlerweile überwiegend mit Misstrauen bedacht ist. Ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis ist jedoch unabdingbar und setzt Kritikfähigkeit auf der Seite der Lehrer und keine Pauschalisierung seitens der Eltern voraus, so Matthes. Durch die ständigen Experimente unserer Regierenden ist dieses wichtige Vertrauen gerade in Bayern weitgehend zerstört worden. Der Beruf des Lehrers bedarf eines weiten geistigen Horizonts, eines wachen Bewusstseins für gesellschaftliche Herausforderungen und eines wachsamen Auges für das Betrachten des Umfelds. Neben ihrer inhaltlichen Lehraufgabe sollten die Lehrer Werteerziehung und politische Bildung leisten sowie aktuelle Themen in den Unterricht hineinbringen.

All das kann allerdings aufgrund der Strukturen in Bayern nicht gewährleistet werden. Was fehlt ist unter anderem eine durchdachte Vorgehensweise in der Veränderung der Lehrpläne. Die Schüler brauchen keine weiteren Schnellentscheidungen ohne konkreten Ansatz mehr. Sie brauchen eine klare Struktur mit dem Fokus darauf, welche Ziele verfolgt werden sollen und was ihnen mit auf den Weg gegeben werden soll. Derartige Überlegungen spielen derzeit weder bei der Ausarbeitung der neuen Lehrpläne noch bei der hektischen Ummodelierung des Schulsystems eine Rolle. Lernen fürs Leben ist längst zum Bulemie-Lernen mutiert. Lernen hat nur noch eine Bedeutung für die nächste Prüfung, dann kann der Inhalt getrost wieder vergessen werden. So etwas ist verantwortungslos und hat mit dem Begriff Lernen und Vermitteln nicht mehr das Geringste zu tun. Eine Tatsache, die nicht nur Eltern, sondern auch Lehrer seit Jahren vergeblich beanstanden. Der aber von der Regierung vehement keine Rechnung getragen wird.

Mit einer Reihe von aufeinanderfolgenden „Ausbesserungen“ sowie hilf- und haltlosen Versuchen wird ungestraft weiter auf dem Rücken der Kinder experimentiert. Der Beruf „Lehrer“ wird konsequent reduziert auf die Rolle von Methodikern mit guten Tafeleinträgen. Deren Tätigkeit darf nicht länger bestimmt werden von den Ergebnissen empirischer Lehr- und Lernforschung, in der mit dem Ziel der Anpassung möglichst viele messbare Kompetenzen vermittelt werden. Wenn nur noch nach der Effizienz des Unterrichts gefragt wird, kommt die gesellschaftliche Verantwortung und die Ausbildung nicht messbarer Kompetenzen zu kurz. Die reale Situation in Bayern sieht folgendermaßen aus: Die Erziehungswissenschaft ist sehr schlecht aufgestellt, der pädagogischen Ausbildung wird zu wenig Relevanz zugesprochen.

In Augsburg, wie auch in anderen universitären Standorten in Bayern, kommen dafür durchschnittlich 3 Professoren auf 800 Studierende. Hier wäre eine Aufstockung der Lehrstühle dringend vonnöten. Fachbereiche, die zu versinken drohen sind aus diesem Mangel heraus unter anderem Werterziehung oder Medienerziehung. Gerade diese Bereiche sollten in der heutigen Zeit nicht vernachlässigt werden.
Vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Entwicklung muss dem wieder Genüge getan werden. Es muss auf soziale Entwicklungen wie die sich wandelnde Situation in den Familien, die Veränderung in Generationenbeziehungen, die wachsende Kinderarmut und das Auseinanderdriften der Sozialdemokratie eingegangen werden. Bereits während des Studiums muss der angehende Lehrer darauf vorbereitet werden, dass er überforderte Kinder vor sich hat, denen man die Jugend verkürzt indem man sie zu kleinen Erwachsenen macht. Denen aufgrund einer unfähigen Schulpolitik keine Zeit mehr bleibt, persönliche Kompetenzen zu entwickeln, sich auszuprobieren und auszutoben. Eine Tatsache mit deren Auswirkungen wir erst in einigen Jahren konfrontiert werden.
Mit der Bologna-Reform wurde die Pädagogik auch im Studium verpflichtend verankert, dies wurde aber in der bayerischen Lehrerausbildung nur halbherzig umgesetzt. Ein Beispiel hierfür sind die Fachwissenschaften im gymnasialen Lehramt mit 92 Leistungspunkten, zu denen nur 7 in der Allgemeinen und in der Schulpädagogik hinzukommen. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund haben wir vor allem an den Gymnasien und Realschulen noch zu viele Lehrkräfte, die sich ausschließlich oder vorrangig als Wissenschaftler verstehen und die didaktischen, methodischen und erzieherischen Herausforderungen ihrer Tätigkeit ignorieren. Die universitäre Lehrerausbildung wirkt dem entschieden zu wenig entgegen.

Die Frage, ob es den geborenen Lehrer gäbe, beantwortet Prof. Dr. Matthes mit einem ausdrücklichen „Nein“. Man kann das zwar nicht ausschließlich erlernen, sondern benötigt eine gewisse „Berufung für den Beruf“ und muss mit Offenheit und Empathie herangehen. Darüber hinaus entscheidet eine relative Autonomie des Lehrers über die Rolle des Bildungssystems in einer Demokratie oder einer Diktatur. In einer Demokratie sollte den Lehrern ein gewisses Maß an Freiheit eingeräumt werden, um auch eigene Prioritäten zu setzen und die Anforderungen seiner Klasse einzugehen.
Dass Lehrer sich aufgrund ihres unkündbaren Status völlig in das System einordnen müssen widerspricht laut Matthes dem Grundgedanken des Beamtentums. Vielmehr garantiert ihnen gerade das eine gewisse Unabhängigkeit und sollte die Freiheit fördern, Mut zu zeigen und die Vorgaben des Staates kritisch und loyal zu überprüfen. Im Sinne des Bürgers, der am Ende durch seine Abgaben die Existenz und die Finanzierung gewährleistet. Auch in diesem Falle sollte gelten: „Der Kunde ist König“.

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