Die Arbeitsgemeinschaft für Bildung in Bayern (AfB) hat in einem einstimmigen Beschluss eine Stellungnahme zur Diskussion um die Ganztagesschule zusammengefasst. Ganztagesschulen als integrierte Schulsysteme sind die Voraussetzung für die Beseitigung des Zusammenhangs zwischen Bildungsherkunft und Schulerfolg. Ziel der SPD ist eine flächendeckende Einführung von rhythmisierten Ganztagesschulen. Hierzu werden alle Verantwortlichen aufgefordert, auf die Abschaffung des Kooperationsverbotes im Grundgesetz zu drängen. Damit Programme der Bundesregierung stärker als bisher auf die Förderung von guten Ganztagsschulen hinwirken können. "Gute Ganztagsschulen" sind schon immer ein Herzensprojekt der SPD, da sie die Chancengleichheit in der Bildungspolitik ermöglichen. Herz, Kopf und Engagement dürfen über den Erfolg einer Bildungs- und Berufskarriere entscheiden, niemals aber der soziale Hintergrund oder die finanziellen Möglichkeiten.
Zwar besuchen in Bayern laut Klemm-Studie aus dem Jahr 2013 inzwischen 11,4% (Bundesdurchschnitt 30,6%) der Schülerinnen und Schüler eine ganztägig arbeitende Schule (davon 25% an privaten Schulen). Den „ganzen“ Tag Schule ist allerdings nicht gleichzusetzen mit einer guten Ganztagesschule. Viel zu oft lernen unsere Kinder nach nicht mehr zeitgemäßen Methoden und in überholten Strukturen. Auch die Pädagogik hat sich an vielen Schulen nicht oder nur wenig verändert. Gerade diese sollte sich aber an den erziehungswissenschaftlichen und schulpädagogischen Erkenntnissen orientieren, insbesondere in einer modernen Ganztagsschule.
Ganztagesschule sagt mehr aus als einzelne Unterrichtsstunden oder Betreuungs- bzw. Freizeitergänzung am Nachmittag. Es geht nicht um eine Ausweitung der Unterrichtszeit im Sinne einer Halbtagesschule. Die „Gute Ganztagesschule“ ist Lernort und Lebensraum, der gutes Lernen zu den richtigen Zeiten mit Freizeit-, Übungs- und Erholungs- und Förderphasen verbindet. In einer „Guten Ganztagesschule“ haben die Lehrkräfte und die Schülerinnen und Schüler mehr Zeit füreinander. Alle Beteiligten im System Schule arbeiten selbstverständlich auch am Nachmittag zusammen. In der rhythmisierten Ganztagsschule wird der an Halbtagsschulen dicht gedrängte Vormittag entzerrt und die Lernphasen, Übungsanteile, Freizeit- sowie kulturelle Angebote auf den ganzen Tag verteilt. Damit werden die Angebote am Vormittag mit den Angeboten am Nachmittag sinnvoll verzahnt.
SchülerInnen und Lehrkräfte nehmen neue Rollen ein und verstehen sich als Lernpartner mit gemeinsamer Verantwortung für den Lernerfolg. Ein angenehmes Schulklima wirkt sich erwiesenermaßen positiv auf die Schulleistungen aus. Desweiteren hat diese Grundhaltung einem heranwachsenden jungen Menschen gegenüber eine Vermittlung und Verwirklichung demokratischer Werte zur Folge. Die LernbegleiterInnen / LehrerInnen schaffen eine Atmosphäre, in der die Schülerinnen und Schüler ihr Urbedürfnis des individuellen Lernens frei entfalten können. Eine "Gute Ganztagsschule" als Lebensort kann darüber hinaus nicht einfach vollständig über einen längeren Zeitraum schließen. Sie bietet ihre Räume und Einrichtungen offen an und hält Angebote für Ferienzeiten vor. Für die erfolgreiche Umsetzung ist die Ganztagsschule in rhythmisierter Form unerlässlich. Es braucht dafür mehr Zeit am Tag und innerhalb der Schulwoche, um die wichtigen Bereiche von der individuellen Förderung und Coaching über Vermittlung und Stärkung von sozialen Kompetenzen bis hin zu demokratischer, musischer, sportlicher und künstlerischer Erziehung zu leisten.
„Gute Ganztagsschule“ kann nur erfolgreich umgesetzt werden, wenn alle SchülerInnen einer Schule diese an mindestens 4 Tagen in der Woche in der Regel von 8.00 Uhr bis 16.00 Uhr besuchen. Zusätzlich sollte es vor und nach der organisierten Schulzeit sowie ggf. am „freien Nachmittag“ Betreuungsangebote mit freien Inhalten bzw. im Sinne eines Freizeitangebotes geben, damit eine Verlässlichkeit an allen Tagen in sinnvollen Zeiten für die Schülerinnen und Schüler sowie deren Eltern gegeben ist. Jede Schule muss diesen Punkt an die Bedürfnisse aller Beteiligten vor Ort anpassen können.
Besonders hervorzuheben ist, dass in einer "Guten Ganztagsschule" keine Hausaufgaben im klassischen Sinne nötig sind. Die Gute Ganztagsschule organisiert dies in Übungs-, Lern- und Förderstunden im Rahmen ihrer Zeitstruktur. Kommen die Kinder und Jugendlichen aus der Schule, können sie ihre Freizeit genießen, sich engagieren sowie am öffentlichen und privaten Leben teilhaben.
Für eine Kind gerechte und erfolgreiche moderne Pädagogik müssen wir umdenken. Weg von der Frage: „Wie muss ein Kind sein, um der Schule gerecht zu werden?“ hin zu der Frage: „Wie muss die Schule sein, damit sie dem Kind gerecht wird?“ Um eine erfolgreiche, am Bildungserfolg messbare „Gute Ganztagsschule“ umzusetzen, brauchen wir ein neues Selbstverständnis von Schule. Weg von der reinen Lehranstalt, hin zum Lern-, Lebens-, Erfahrungs- und Kulturort, an dem Werte erhalten und vermittelt werden, Integration und Inklusion gelebt werden und alle Beteiligten die Verantwortung für das Gelingen des Lern- und Entwicklungserfolges der Schülerinnen und Schüler tragen.
Die Folge zurückliegender Bildungsreformen ist ein kurzfristiges Lernen großer Mengen von Fakten bzw. Inhalten vor Klassenarbeiten, die nachweislich größtenteils wieder schnell vergessen werden. Eine moderne Schule muss sich dagegen für nachhaltiges anwendbares Lernen engagieren und sich auch um Kompetenzen und die Entwicklung des gesamten Menschen und dessen Bedürfnisse kümmern.
Unsere Kinder sollten das, was sie lernen, mit Neugier und Begeisterung aufnehmen, nicht aber aus Pflichterfüllung wiederholen. Dazu ist es unerlässlich, dass neue erprobte Lernmethoden aus den Erziehungswissenschaften übernommen werden und das dreigliedrige Schulsystem überwunden wird.
Auch unsere Gesellschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten massiv verändert. Sie ist geprägt durch größere Mobilitätsanforderungen, starke Zuwanderungen von Menschen unterschiedlicher Kulturkreise, Instabilität vieler Arbeitsverhältnisse, Notwendigkeit von Integration und Inklusion (UN-Menschenrechtskonvention). Die Heterogenität nimmt zu, die Vorstellung von homogenen Klassen war nie richtig und ist nun erwiesenermaßen überholt. In Zukunft müssen die Lehrkräfte mehr moderieren als dozieren, um die Fähigkeiten jeder/s Einzelnen zu finden und zu fördern. Eine gut aufgebaute und funktionierende rhythmisierte Ganztagesschule ist eine Entlastung für alle Beteiligten. Notwendig dafür ist ein Ende des Denkens in Zuständigkeiten: Wie in den Kommunen, Schulen und Jugendhilfe für eine gute ganztägige Bildung an einem Strang ziehen müssen, muss auf Landesebene Bildungs- und Sozialpolitik zusammengedacht werden.