100 Jahre AfB, Festrede von Margit Wild

04. November 2019

Wenn es um den Kern sozialdemokratischer Politik geht, dann ist die Bildung das Stichwort. Seit den 1830er Jahren wurden zahlreiche Bünde und Arbeitervereine gegründet, von denen viele eigene, wenn auch noch recht kleine Bibliotheken unterhielten und Leseabende durchführten oder zumindest die Einrichtung von Volksbibliotheken forderten. Infolge der Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, aus dem später die SPD hervorging, wurde die Bildungsarbeit weiter intensiviert. Das 1878 verhängte "Sozialistengesetz" behinderte jedoch stark die politische Bildung – das Arbeiterbibliothekswesen nahm erst nach dessen Aufhebung im Jahr 1890 einen neuen Aufschwung. Bildung als Mittel der Emanzipation der Arbeiterbewegung – das ist die Überschrift sozialdemokratischen Handelns. „Wissen ist Macht“, heißt es so schön und deswegen war und ist es unser politischer Auftrag, die Menschen durch Wissen zu „bemächtigen“. Es kommt daher auch nicht von ungefähr, dass die Nationalsozialisten Bücher verbrannt haben. Bildung, Wissen, Kultur – das sind die natürlichen Feinde der Diktatur, des Faschismus, des Menschenhasses. Wenn wir einer offenen, freien, selbstbestimmten und somit demokratischen Gemeinschaft leben wollen, dann geht das nur mit Bildung. Wenn wir heute 100 Jahre AfB feiern, dann schauen wir nicht nur zurück auf das Geleistete, sondern unser Blick muss nach vorne gerichtet sein. Wir haben viel erkämpft und erreicht, aber wir haben noch lange nicht fertig! Liebe Genossinnen und Genossen, ich muss euch die Herausforderungen unserer Demokratie und unserer offenen Gesellschaft nicht im Detail aufzählen. Rechtsextreme Anschläge und Terrorakte wie in Halle oder der Mord Lübckes. Die lange Mordserie des NSU. Die Wahlerfolge der AfD trotz aller Hassreden, die wir alle kennen. Unsere Demokratie, unsere freie, tolerante und weltoffene Gesellschaft sind keine Selbstverständlichkeit. Wir müssen jeden Tag aufs Neue um sie kämpfen. Wir müssen die demokratische Pflanze pflegen, sie gießen und sie gedeihen lassen. Und Bildung ist Sonne, Dünger und Wasser für diese Pflanze. Ich war erst vergangenen Monat im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände, im KZ Flossenbürg und im Außenlager Hersbruck/Happurg. Mit den Leitern der Gedenkstätten haben wir über deren Bildungsarbeit gesprochen. Und dabei habe ich zwei Sätze mit nach Hause genommen. Der erste Satz ist von Jürg Skriebeleit, dem Leiter der Gedenkstätte Flossenbürg: „Wir dürfen nicht glauben, dass die Menschen in die Gedenkstätte gehen und als Demokraten wieder heraus kommen“. Der zweite Satz ist vom Schulleiter in Hersbruck: „Zentral ist die demokratische Haltung der Lehrkräfte im Unterricht. In jedem Fach, nicht nur in Geschichte“. Liebe Genossinnen und Genossen, demokratische Bürgerinnen und Bürger bekommt man nicht durch zwei Stunden Geschichtsunterricht in der Woche. Antisemitismus kuriert man nicht durch einen Gedenkstättenbesuch. Bildung ist ein langer Prozess. Und er endet nie. Daher bin ich froh, dass die AfB nicht nur 100 Jahre alt geworden ist, sondern sich weiterhin als große, starke Arbeitsgemeinschaft innerhalb der SPD präsentiert, die ständig neue und wichtige Inhalte in die Partei bringt und die SPD daran erinnert, was zentral ist: Emanzipation durch Bildung.