Freigabe des Elternwillens beim Übertritt !

03. Mai 2020

BayernSPD | Arbeitsgemeinschaft für Bildung | Oberanger 38, 80331 München

Bayer. Staatsministerium für Unterricht und Kultus

Herrn Staatsminister Prof. Dr. M. Piazolo

Frau Staatssekretärin Anna Stolz

Salvatorstraße 2

80327 München

München / Landshut, 02.05.2020

Offener Brief an Staatsminister Prof. Dr. Michael Piazolo und

Kultusstaatssekretärin Anna Stolz

Freigabe des Elternwillens beim Übertritt !

Sehr geehrter Herr Staatsminister Prof. Dr. Piazolo,

sehr geehrte Frau Staatssekretärin Stolz,

wir wenden uns heute an Sie, um Sie davon zu überzeugen und Sie dazu zu bewegen, den Übertritt nach der Jahrgangsstufe 4 der Grundschulen in die weiterführenden Schulen unabhängig von Noten zu gestalten, wie es in den anderen Bundesländern üblich ist. Nutzen Sie diese Chance und schaffen Sie das „Grundschulabitur“ endlich ab. Die derzeitige Corona-Pandemie und die ohnehin vielen neuen und unterschiedlichen Varianten beim Thema Schule bieten dazu eine gute, ja eine perfekte Gelegenheit, aktuelle, aber auch schon lange bestehende und zukünftige Probleme zu lösen.

Das bayerische Übertrittsverfahren ist erwiesenermaßen ungerecht, unsozial und berücksichtigt die unterschiedlichen Entwicklungsstände von Kindern im Alter von +/- 10 Jahren keineswegs. Diese berechtigte Kritik erheben nicht nur wir von der SPD schon seit vielen Jahren, auch seitens der OECD und vieler führenden Bildungs- und Wirtschaftswissenschaftler*innen wird dies seit vielen Jahren kritisiert. Die meisten der anderen Bundesländer gehen beim Übertritt längst einen anderen, einen gerechteren Weg. Der Übertritt in Bayern kann, wie in vielen anderen Bundesländern auch, z. B. nach einer verpflichtenden, qualifizierten, aber unverbindlichen Beratung durch die Lehrkraft und durch Beratungslehrkräfte erfolgen. Gemeinsam mit den Eltern und dem betreffenden Kind kann so der künftige Weg für das Kind viel besser und individueller gestaltet werden.

Aus unserer Sicht bietet sich gerade in diesem außergewöhnlichen Schuljahr eine sehr gute Möglichkeit, dies für Bayern endlich anzugehen. Schulkinder können wegen der Corona-Pandemie nun schon seit vielen Wochen nicht mehr in die Schule. Ein regulärer Unterricht hat nicht stattgefunden und wird auch weiterhin nicht stattfinden können. Die Schulen wurden auch zum 27.4. nach 6 Wochen für die Schüler*innen der 4. Jahrgangsstufe nicht wieder geöffnet, die Noten wurden zum 11.3. eingefroren.

Wir fordern Sie deshalb auf: haben Sie Vertrauen in die professionelle Beratung durch die Grundschullehrer*innen und in die Beratungslehrkräfte, die – befreit von wenig aussagekräftigen Ziffernnoten im Zehntel- und Hundertstelbereich – die Eltern wirklich beraten können! Haben Sie Vertrauen in die Eltern, die als Erziehungsberechtigte die richtige Entscheidung für Ihre Kinder treffen und verantworten können und nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland auch die alleinige Entscheidungskraft haben.

Entlasten Sie Familien, entlasten Sie die Schülerinnen und Schüler, entlasten Sie die Lehrkräfte von dem immensen Druck, der wegen des bayerischen Sonderwegs des Übertritts schon ab Jahrgangsstufe 3 bei allen Beteiligten entsteht. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis und tragen Sie dem bitte Rechnung, dass nachgewiesenermaßen die betroffenen Kinder teilweise krank werden, ärztlicher und psychologischer Hilfe und vielfach auch medikamentöser Unterstützung bedürfen. Dies alleine beweist doch, dass dieser bayerische Weg einer dringenden Verbesserung bedarf.

Über die Vielfalt der persönlichen Stärken und Schwächen lässt sich frei und fundiert auch ohne Ziffernnoten sprechen. Der Vergleich mit den anderen Schülerinnen und Schülern der Klasse, einer rein zufälligen, auch sozioökonomisch zufälligen, Zusammensetzung von Kindern, entfällt dadurch. Die Individualität des Kindes steht im Mittelpunkt. Und nach der Corona-Krise, wenn wir wieder zurück in den Alltag kommen, wären wir eine weitere Erfahrung reicher. Sie könnten endlich den Druck, durch den an Ziffernnoten gebundenen Übertritt, den die Grundschulzeit so extrem prägt, hinter sich lassen. Sie wissen doch selbst, wie quälend diese Zeit für Kinder, Eltern und Lehrkräfte sein kann: Die Überlegungen der Eltern, wie der Übertritt erfolgreich zu schaffen sei, beginnen schon in der Jahrgangsstufe 2, spätestens mit Beginn der Jahrgangsstufe 3. Die durch Ihren Vorgänger eingeführte unsägliche Beratung zum Übertritt schon in der Jahrgangsstufe 3 hat den Druck nochmal dramatisch auf noch jüngere Lernende erhöht. Beenden Sie diesen fatalen Irrweg jetzt.

Während einige Kinder noch gar nicht verstehen, welche Bedeutung Noten haben (und bei einer entscheidenden Probe zu malen beginnen), weinen andere, wenn sie in der 3. Klasse eine Drei bekommen. Sie wissen, sie brauchen eine Zwei vor dem Komma. Laut mehrerer Studien wird die Zeit bis zum Übertrittszeugnis für viele Kinder in der Jgst. 4 so quälend, dass sich dies nahe der Kindeswohl-Gefährdung bewegt. Dieser Prüfungsdauerstress ist für Kinder in diesem Alter völlig unnötig. Wenn man dann noch weiß, dass Noten Zufallsprodukte und logisch und systemisch fehlerhaft sind, ist der notenfreie Übertritt unabdingbar. Dass der Übertritt nach Ziffernnoten mehr als überdenkenswert ist, beweisen die Zahlen in Ihrem Haus: keine 30% der durch das System als für den Übertritt geeigneten Lernenden aus Jgst. 5 Gymnasium tauchen in den Abiturklassen auf.

In fast allen Bundesländern ist der Elternwille frei gegeben und es hat in keinem Bundesland zu einem verstärkten ‚Run‘ aufs Gymnasium geführt, auch nicht in Rheinland-Pfalz oder in Baden-Württemberg, wie oft fälschlicherweise zitiert wird, zumal es in fast allen anderen Bundesländern auch Alternativen durch Gemeinschaftsschulen gibt.

Sie wollen, wie ein Schreiben Ihres Ministerialdirigenten Walter Gremms vom 20.04.2020 an die Eltern der Jahrgangsstufe 4 belegt, das Übertrittszeugnis, also das „Grundschulabitur“, am 11. Mai 2020 verschicken, und damit maßgeblich über die Zukunft von +/- 10-jährigen Kindern entscheiden (die Zahlen aus Ihrem Haus beweisen, dass die viel beschworene Durchlässigkeit nur nach unten, sehr selten nach oben, existiert). Und wer damit nicht einverstanden sei, solle gar zu einem Probeunterricht Mitte Mai antreten, um ggf. doch noch auf eine Realschule oder ein Gymnasium übertreten zu können. Das ist für Kinder in diesem jungen Alter eine unmenschliche Belastung, und all das ohne reguläre Vorbereitung, ohne regulären Unterricht. Es darf und soll doch keinem Kind einen Nachteil aus der Krise entstehen. Waren das nicht in den letzten Tagen Ihre eigenen Worte?

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Piazolo, sehr geehrte Frau Stolz, wir fordern Sie deshalb auf: steigern Sie Lern- und Lehrkultur an Bayerns Schulen. Ermöglichen Sie die Freigabe des Elternwillen beim Übertritt nach Beratung durch die Lehrkraft zusammen mit einer ausgebildeten Beratungslehrkraft.

Mit freundlichen Grüßen

Arbeitsgemeinschaft für Bildung

In der BayernSPD

Herbert Lohmeyer

Landesvorsitzender

H e r b e r t L o h m e y e r Landesvorsitzender AfB Bayern Bezirksvorsitzender AfB Niederbayern Mitglied im AfB-Bundesausschuss stv. Landesvorsitzender AG SPDqueer Bezirksvorsitzender AG SPDqueer Ndb Kassierer im UB-Vorstand Mitglied im SPD-Bezirksvorstand Ndb Vorsitzender SPD-OV Tiefenbach Mitglied im Sprecherrat DL21 Bayern

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